Bericht über die Bundesrunde der 59. Mathematik-Olympiade
Dieses Mal lief alles anders, so könnte man die Bundesrunde der 59. Mathematik-Olympiade kurz und knapp charakterisieren. Bedingt durch die Corona-Pandemie konnte sie letztlich nicht als Präsenzrunde stattfinden und hatte zwei Veranstalter. Und so zerfällt dieser Bericht auch in zwei Teile.
Die Bonner Bundesrunde
Der Startschuss zur Bundesrunde 2020 in Bonn fiel im Herbst 2015, als während der Konferenz der nordrhein-westfälischen Regionalkoordinatoren, die jährlich vom Landesverband Mathematikwettbewerbe NRW e.V. veranstaltet wird, über eine Bewerbung Nordrhein-Westfalens um die Ausrichtung der Bundesrunde 2020 gesprochen wurde. Bonn wurde als Austragungsort vorgeschlagen, was bei allen Beteiligten auf Zustimmung stieß. Während der Bundesrunde 2017 in Bremerhaven erhielt Nordrhein-Westfalen offiziell den Zuschlag. Damit stand fest, die Bundesrunde 2020 findet in Bonn statt, als Termin wurde der 17. bis 20. Mai 2020 festgelegt. Die Rolle des Veranstalters wurde MATHE PRO – Bonner Verein zur Förderung mathematisch interessierter Schülerinnen und Schüler e.V. übertragen, der in Bonn seit vielen Jahren die beiden ersten Runden der Mathematik-Olympiade organisiert.
Nun begann in Bonn die Arbeit. Verhandlungen mit Förderern und potentiellen Sponsoren mussten geführt, die Unterkünfte fest gebucht und Partner und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer geworben werden, die die Vorbereitung und Durchführung tatkräftig unterstützen. Die Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Yvonne Gebauer, übernahm die Schirmherrschaft und ihr Ministerium sagte Fördermittel zu. Der Antrag an die Hector Stiftung II auf finanzielle Förderung wurde ebenfalls positiv beschieden. Damit war eine auskömmliche Finanzierung der Bundessrunde 2020 sichergestellt. Mit dem Hausdorff Center for Mathematics (HCM) der Universität Bonn konnte zudem ein renommierter Kooperationspartner gewonnen werden. Als Unterkünfte wurden die Jugendherberge Bonn auf dem Venusberg und das CJD Tagungs- und Gästehaus in Bonn Castell gebucht. Für die Klausuren stellte die Deutsche Telekom AG Räumlichkeiten zur Verfügung, die auch jährlich für die Bonner Regionalrunde der Mathematik-Olympiade genutzt werden. Dank der Unterstützung durch das HCM stellte die Universität Bonn für die Siegerehrung ihre Aula zur Verfügung und konnte Prof. Dr. Peter Scholze für den Festvortrag gewonnen werden.
Eine etwa 30-köpfige Vorbereitungsgruppe wurde gebildet, in der die jeweils weiteren Schritte abgestimmt und Zuständigkeiten für die einzelnen Teilbereiche festgelegt wurden. Koordiniert und verantwortet wurde die gesamte Vorbereitung vom Organisationsteam, dem Dr. Gabi Ernst-Brandt, Andreas Schwarzwald, Dr. Stefan Welke, Mario Haunhorst und Hanns-Heinrich Langmann angehörten. Nach und nach wurden die Homepage erstellt, das Logo entwickelt, ein Video produziert, mit dem bei der Bundesrunde in Chemnitz zur nächsten Bundesrunde nach Bonn eingeladen wurde, die Kongresstaschen für alle Teilnehmenden ausgewählt und ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm geplant und vorbereitet.
So nahm die Bundesrunde 2020 Gestalt an. Anfang März 2020 waren die Vorbereitungen so weit gediehen, dass die Organisatoren ihrem Beginn am 17. Mai entspannt entgegen sehen konnten. Die Einladungen an die Landesbeauftragten und weiteren Gäste waren fertig und sollten verschickt werden, das Anmeldeverfahren für die Mannschaften, Korrektoren und Koordinatoren und weiteren Gäste lief, die Planung des vielseitigen Rahmenprogramms und der Siegerehrung war abgeschlossen, die entsprechenden Veranstaltungsorte waren gebucht, die Kongresstaschen und Give-aways lagen schon längere Zeit bereit und das Layout für die Urkunden war ebenfalls fertig. Als Nächstes sollten nun die T-Shirts und die Herstellung der Medaillen in Auftrag gegeben werden.
Doch dann kam die Corona-Pandemie und wirbelte wie vielerorts auch bei uns in Bonn alles durcheinander. Immer mehr Einschränkungen insbesondere auch im Veranstaltungsbereich wurden notwendig, um die Pandemie einzudämmen. Sehr schnell wurde klar, dass die Bundesrunde der 59. MO davon betroffen war. Immer deutlicher zeichnete sich ab, dass die Durchführung einer Präsenzveranstaltung mit rund 400 Gästen Mitte Mai nicht möglich sein würde. Am 16. März 2020 tagte das Organisationsteam und beschäftigte sich noch einmal intensiv mit dem Thema. Nach gründlicher Abwägung aller Aspekte und in Abstimmung mit dem 1. Vorsitzenden des Mathematik-Olympiaden e.V. entschied es sich schweren Herzens, die Bundesrunde 2020 in Bonn abzusagen. Wesentlicher Grund für diese Entscheidung war die Tatsache, dass bereits zu diesem Zeitpunkt in neun Bundesländern außerschulische Veranstaltungen, zu denen Wettbewerbe und Olympiaden explizit gezählt wurden, teilweise bis Ende des Schuljahres untersagt waren. Eine regelkonforme Durchführung der Bundesrunde in Bonn als Präsenzveranstaltung wäre damit nicht möglich gewesen. Darüber hinaus war es äußerst fraglich, ob die zwingend vorgeschriebene Genehmigung der Veranstaltung durch die Bundesstadt Bonn erteilt worden wäre und die vorgesehenen Räumlichkeiten zur Verfügung gestanden hätten.
Während wir in Bonn nun damit beschäftigt waren, alle Beteiligten und Partner zu informieren und die geschlossenen Verträge zu stornieren, gab es im Mathematik-Olympiaden e.V. erste Überlegungen, ob es Alternativen geben könnte.
Die 4. Runde der 59. Mathematik-Olympiade
Die Absage der Bundesrunde als Präsenzveranstaltung stellte den Mathematik-Olympiaden e.V. vor die Frage, wie es mit der 59. Mathematik-Olympiade weiter gehen sollte. Sie nach der dritten Runde zu beenden, konnte sich niemand vorstellen. Hier waren jetzt kreative Lösungen gefragt. In einem Zoom-Online-meeting am 10. Mai 2020 befasste sich der Vereinsvorstand ausführlich mit diesem Thema und erarbeitete Vorschläge zur Durchführung einer dezentralen 4. Runde. Sie wurden drei Tage später in einem weiteren Online-meeting mit den sechzehn Landesbeauftragten noch einmal intensiv diskutiert und ohne wesentliche Modifikationen beschlossen. Das war der Startschuss für die 4. Runde der 59. Mathematik-Olympiade. Kernpunkte des Durchführungskonzepts waren:
- Der Mathematik-Olympiaden e.V. veranstaltet die 4. Runde, an ihr nehmen aber keine Mannschaften aus den sechzehn Bundesländern teil. Vielmehr soll allen Schülerinnen und Schülern, die sich in ihrem Bundesland für die 4. Runde qualifiziert haben, individuell die Bearbeitung der beiden Klausuren unter Bedingungen ermöglicht werden, die denen eines Wettbewerbs nahe kommen. Die Teilnahme ist selbstverständlich freiwillig.
- Vor dem Hintergrund sehr unterschiedlich restriktiver Regelungen in den einzelnen Bundesländern für außerschulische Veranstaltungen und Schülerwettbewerbe wird in diesem Jahr auf den Begriff Bundesrunde verzichtet.
- Das Bindeglied zwischen Veranstalter und Teilnehmenden sind die Landesbeauftragten. Sie organisieren in ihrem Bundesland die Durchführung der Klausuren entsprechend der Vorgaben vor Ort.
- Alle Beteiligten sind sich einig, möglichst vergleichbare Klausurbedingungen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewährleisten. Der Klausurort kann eine Schule sein, aber auch das Schreiben in anderen öffentlichen oder privaten Räumen ist möglich. Eine Aufsicht soll gute Klausurbedingungen sowie das Einhalten der Regeln (keine Hilfsmittel etc.) sicherstellen. Bei der Aufsicht kann es sich um eine geeignete, vom Landesbeauftragten beauftragte Person handeln.
- Die beiden jeweils 4 1/2-stündigen Klausuren finden in einem Zeitfenster vom 17. Juni bis 21. Juni 2020 statt.
- Nach den Klausuren bietet der Vorstand des Mathematik-Olympiaden e.V. eine Korrektur der Lösungen an, die nach Möglichkeit den üblichen Gepflogenheiten einer Bundesrunde entsprechen soll.
- Alle Teilnehmenden erhalten eine Teilnahmeurkunde im entsprechend angepassten Bonner Urkundendesign. Da es in dieser 4. Runde keine Preise gibt, kann es auch keine Preisurkunden geben. Die erfolgreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten aber eine Bescheinigung darüber, welcher Preiseinstufung ihre Leistung in einer regulären Bundesrunde entsprochen hätte.
Die Geschäftsstelle der Bundesweiten Mathematik-Wettbewerbe stellte ihren Zoom-Account für die Online-meetings zur Verfügung, koordinierte diese und bereitete sie vor. Dr. Wolfgang Radenbach stand mit seiner Datenbank bereit, die er seit vielen Jahren in Niedersachsen zur Teilnehmerdatenverwaltung und für weitere organisatorische Zwecke einsetzt. Mit großem Zeit- und Arbeitseinsatz adaptierte er sie für die 4. Runde und passte sie kontinuierlich den jeweiligen Erfordernissen an.
Zur administrativen Steuerung wurde ein Lenkungsausschuss eingerichtet, dem Prof. Dr. Jürgen Prestin (1. Vorsitzender MO e.V.), Patrick Bauermann (Geschäftsstelle Bonn), Prof. Dr. Konrad Engel (Vorsitzender MO-Aufgabenausschuss), Prof. Dr. Uwe Leck (Chefkoordinator), Prof. Dr. Roger Labahn (AG Bundesrunden), Hanns-Heinrich Langmann (Bonner Organisationsteam) und Dr. Wolfgang Radenbach (Datenbankadministrator) angehörten.
In der Zeit vom 17. bis 20. Juni 2020 schrieben 196 Schülerinnen und Schüler die Klausuren der 4. Runde. Ihre Lösungen wurden vor Ort gescannt und dann auf den MO-Server hochgeladen. Von dort wurden sie auf die Korrekturgruppen verteilt, deren Korrekturergebnisse in der Datenbank wieder gesammelt und zur Koordination weitergegeben. Die Korrektur war dezentral organisiert, während der Arbeit konnten die Korrektoren über Online-meetings miteinander in Kontakt treten. Das gesamte Verfahren, mit dem ja Neuland betreten wurde, verlief reibungslos. Die Korrektoren und Koordinatoren hatten sich sehr schnell auf die veränderten Rahmen- und Arbeitsbedingungen eingestellt und arbeiteten effektiv zusammen, organisatorisch wurden sie in ihrer Arbeit durch die Datenbank sehr gut unterstützt. So stand am Ende ein Korrekturverfahren, das sich von dem bei einer regulären Bundesrunde in Niveau und Qualität durch nichts unterschied. Selbst die Möglichkeit zu Einsprüchen gegen die Korrekturentscheidungen konnte gegeben und online realisiert werden. Das Ganze war eine logistische Meisterleistung!
Am 2. Juli 2020 war das Korrekturverfahren abgeschlossen, ab 18.00 Uhr waren die korrigierten Lösungen in der Datenbank freigeschaltet. Die Teilnehmenden konnten sich mit ihren individuellen Zugangsdaten einloggen und ihre Lösungen herunterladen. Sollten sie mit einer Bewertung ausnahmsweise nicht einverstanden sein, hatten sie nun einen Tag Zeit, um online einen Einspruch einzureichen. Am 7. Juli waren alle Einsprüche entschieden, die Ergebnisse standen endgültig fest. Später erhielten alle Teilnehmenden per Post von den Bonner Organisatoren noch ihre Teilnahmeurkunde und die Kongresstasche gefüllt mit den Give-aways. Zusätzlich gab es für alle als Sachpreis für ihren erfolgreichen Wettbewerbsabschluss je ein Exemplar des Buches 50 Jahre Bundeswettbewerb Mathematik – Die schönsten Aufgaben, das 2020 im Springer Verlag Berlin Heidelberg erschienen ist. Für die erfolgreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer kam noch die oben erwähnte Bescheinigung zur Einstufung ihrer Leistung dazu. Damit fand die 59. Mathematik-Olympiade einen würdigen Abschluss.
Dieses Mal lief alles anders – diese Charakterisierung trifft auf die Bundesrunde 2020 sicher zu. Und trotz widriger Umstände ist es gut gelaufen. Das ist das Verdienst von mehr als 200 Mitwirkenden, die in den unterschiedlichsten Funktionen durch ihre Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Kreativität zum Gelingen dieser außergewöhnlichen 4. Runde beigetragen haben. Alle Beteiligten können mit deren Ablauf hochzufrieden und stolz darauf sein.
Hanns-Heinrich Langmann